WZ-Sommerinterview: „Mir blutet das Herz, wenn ich durch die Elberfelder Innenstadt gehe“
Das Interview in voller Länge:
1. Herr Todtenhausen, zur Halbzeit der Legislaturperiode scheint die Koalition aus SPD, Grünen und Ihren Liberalen im Bundestag vor einer Zerreißprobe zu stehen. Sehen Sie sich und Ihre Partei hier noch auf einem konstruktiven Weg?
Ja. Wir Liberale verstehen uns in der Ampel als Korrektiv für wirtschaftliche Vernunft und gesellschaftliche Modernisierung. In der Demokratie gehören Debatte und Streit zur Problemlösung dazu. Sicher könnte manches im Vorfeld besser intern ohne so viel öffentliches Aufhebens geklärt werden. Daran arbeitet die Bundesregierung. Aber eines ist auch klar: Noch nie hatte eine Bundesregierung gleichzeitig mit so vielen multipolaren Krisen – Stichwort Postcorona-Zeit, Krieg in der Ukraine, Inflation – und so vielen Herausforderungen – Stichwort Demografie und Fachkräftebedarf, Bildung und Digitalisierung, Klimaschutz und Erneuerung der Infrastruktur – zu tun. Dafür haben wir einiges schon umgesetzt: etwa das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und das Weiterbildungsgesetz, das Inflationsausgleichgesetz und die Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben.
2. Die Gewinnung von Fach- und Arbeitskräften und die Stärkung der Berufsausbildung haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben. Was hat sich hier getan?
Größere Wertschätzung der beruflichen Ausbildung hat sich besonders FDP-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger auf die Fahnen geschrieben: Als Beispiel dient die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung oder die Stärkung der Berufsorientierung in Gymnasien, für die 750 Mio. € bis 2026 eingeplant sind. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sorgen wir endlich dafür, dass es qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt geben wird. Mit dem Weiterbildungsgesetz sorgen wir dafür, dass sich auch für angelernte Beschäftigte ohne Ausbildung das Nachholen eines Abschlusses lohnt. Das ist gerade für viele Menschen im Bergischen eine wichtige Verbesserung.
3. Auch die Gleichstellung einer handwerklichen Ausbildung mit einem Studium ist Ihnen als Handwerksmeister ein Anliegen. Wie weit sind Sie hiermit gekommen in Berlin?
Daran arbeiten wir. Da die finanzielle Förderung der Meisterausbildung im Rahmen der Aufstiegsfortbildung geschieht, die die Länder mitfinanzieren, dauert der Reformprozess naturgemäß etwas länger. Aber die Initiativen hierzu sind aufgegriffen, auch was die tarifliche Anpassung im öffentlichen Dienstrecht betrifft. Als FDP haben wir der Bundesinnenministerin Nancy Faeser vorgeschlagen, im Öffentlichen Dienst bei der Gleichstellung von beruflicher Fortbildung und akademischer Ausbildung als gutes Beispiel voranzugehen. Bis nächstes Jahr erwarte ich hier Ergebnisse. Generell kann ich Interessierten immer nur raten: Auch jetzt ist es schon so, dass ein guter Handwerker mehr verdient als mancher Akademiker.
4. In Berlin wird die Elberfelder City als Dauerbaustelle sicher nicht diskutiert. Die Stärkung des Einzelhandels ist aber eines Ihrer Themen. Haben Sie Tipps, wie das derzeit in Elberfeld und bald in Barmen gehen könnte?
Als gebürtigem Wuppertaler blutet mir das Herz, wenn ich derzeit durch die Elberfelder Innenstadt gehe. Leider habe ich in Gesprächen mit Wuppertaler Einzelhändlern immer wieder hören müssen, dass die Innenstadtentwicklung ohne oder gar gegen die Einzelhändler geplant wurde. Da hat Wuppertal auch selber einiges nachzuholen. Klar ist aber, dass der Einzelhandel es generell derzeit schwer hat – nicht nur bei uns in Wuppertal. Erst die Corona-Pandemie, jetzt die breite Inflation und die Sorgen um den Ukraine-Krieg und die Energiekosten heben nicht die Verbraucherstimmung. Eine schnelle Lösung ist also nicht zu erwarten. Dennoch muss es generelles Ziel auch bei uns sein, die Erreichbarkeit der Innenstadt mit allen Verkehrsmitteln sicherzustellen und Einkaufen, Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung in einer guten Mischung zu ermöglichen. Um auf ein Ereignis wie die massenweise Schließung von Galeria Kaufhof-Filialen reagieren zu können, brauchen wir auch Lockerungen im Baurecht, die eine schnelle Nachnutzung möglich macht. Aber wir brauchen auch die Förderung von Digitalisierung für mehr hybride Vertriebswege, was die Bundesregierung in einem Extra-Kapitel im Koalitionsvertrag für den Einzelhandel formuliert hat. Dass ich persönlich für mehr Öffnungszeiten auch an Sonn- und Feiertagen bin, ist ja kein Geheimnis mehr.
5. Mit der Wahl Alexander Vogels als Dezernent hat es in Wuppertal nicht geklappt. Bereuen Sie, dass man sich nicht für Ihren Parteikollegen entschieden hat?
Ich bedaure die Nicht-Wahl von Alexander Vogel sehr. Nicht aufgrund seines Parteibuchs, sondern auf Grund seiner Qualifikation, von der Wuppertal hätte profitieren können. Nur mal zum Vergleich: Arno Minas war vor seiner Wahl zum Wuppertaler Beigeordneten Amtsleiter in der Verwaltung der 42.000-Einwohner-Stadt Eisenach. Johannes Vogel ist Amtsleiter in der Verwaltung der Millionenstadt Köln. Auf eine solche Erfahrung hat Wuppertal jetzt verzichtet. Und als Zeichen gegenüber potenziellen, zukünftigen Kandidatinnen und Kandidaten ist es auch eine Katastrophe. Wuppertal braucht lange, um sich davon zu erholen.
6. Handwerk hat goldeneren Boden denn je. Wie geht es den Betrieben nicht zuletzt in Wuppertal?
Laut Handwerkskammer sind die pessimistischen Erwartungen der Betriebe aus dem Herbst des letzten Jahres in dieser Form nicht eingetreten. Aber aus meinen täglichen Gesprächen mit anderen Handwerkerinnen und Handwerkern weiß ich, dass die Auftragslage durchaus unterschiedlich und gewerkeabhängig ist. Einige Gewerke sind für Monate ausgelastet, andere hoffen auf Aufträge. Für alle gilt, dass Inflation und hohe Zinsen hier zu weniger Neuinvestitionen - etwa auf dem Bau - führen. Und es ist ja so: Geht es dem Bau gut, geht es der Wirtschaft gut. Deswegen brauchen wir dringend Entlastung und Entbürokratisierung für unsere Betriebe und die Bürgerinnen und Bürger. Und wir müssen beim Thema Fachkräfte und Nachfolgeregelungen schneller und besser werden. Die Politik hat verstanden und setzt ihre Maßnahmen um.
7. Was haben Sie sich für die kommenden Monate politisch vorgenommen?
Als Berichterstatter für Bürokratieabbau steht natürlich dieses Thema bei mir – wie übrigens auch bei den Betrieben aus Handwerk und Mittelstand – ganz oben auf der Agenda. Das Bürokratieentlastungsgesetz nimmt Form an und wird bis Frühjahr verabschiedet werden. Außerdem werden bis Jahresende wir als Teil der Ampelkoalition die Ideen von Christian Lindner vorantreiben, das Wachstumschancengesetz mit Reformen im Steuerrecht und besseren Abschreibungen schnell umzusetzen. Wir brauchen ein neues Deutschland-Tempo.